strings.skip_to_content
LK Argus Kassel

Mobilitätskonzept mit Erprobungsphase Ortskern Kirchditmold

Kirchditmold ist ein grüner Stadtteil von Kassel – der Ortskern ist bisher asphaltgrau. Die Stadt Kassel hat daher aufbauend auf einen städtebaulichen Rahmenplan für den Ortskern das Verkehrsplanungsbüro LK Argus beauftragt, ein Mobilitätskonzept zu erarbeiten und eine Erprobungsphase durchzuführen, auf dessen Basis wiederum ein landschaftsarchitektonisches Gutachterverfahren erfolgt. Ziel des Mobilitätskonzeptes ist es dabei, den Verkehr so zu organisieren, dass Flächen für den Aufenthalt im Ortskern frei werden und umgestaltet werden können. Der Ortskern soll seiner Aufgabe als Zentrum der Nahversorgung und des sozialen Lebens besser gerecht werden. Der Umweltverbund soll gestärkt und dabei die wesentliche Erreichbarkeit im Kfz-Verkehr aufrechterhalten werden.

Wie in jedem handwerklich sauberen Mobilitätskonzept wurde mit einer umfassenden Bestandsanalyse begonnen. Viele Erkenntnisse und Aussagen lieferte bereits die Ortskernstudie Kassel Kirchditmold, die als städtebaulicher Rahmenplan eine umfassende Betrachtung des Ortskerns vornimmt und als Maßnahme 1 die Erstellung eines Mobilitätskonzepts vorsieht. Sodann wurden für alle Verkehrsarten Detailanalysen vor Ort vollzogen inkl. einer Kennzeichenerfassung zur Ermittlung der Kfz-Fahrbeziehungen durch den Ortskern und einer Parkraum-Belegungserhebung. Während einerseits die Straßenraumgestaltung den Fußverkehr und Aufenthalt bisher nur als „Randerscheinung“ vorsieht und die breiten Fahrbahnen eine Barriere darstellen, sind andererseits ca. 2/3 des Kfz-Verkehrsaufkommens  Durchgangsverkehr ohne Quelle oder Ziel im Ortskern selbst, obwohl es eine leistungsfähige Ortskernumfahrungsstraße gibt.

Bestandsanalyse Fußverkehr

Die zu Stärken, Schwächen und Chancen zusammengefasste Bestandsanalyse sowie aufgestellte Leitsätze wurden im Juli 2022 im Ortsbeirat Kirchditmold präsentiert und von diesem begrüßt. Im September 2022 wurde anlässlich der Europäischen Mobilitätswoche der zentrale Ortskern zugunsten eines Straßenfestes für den Kfz-Verkehr erstmalig gesperrt. Dieser Rahmen wurde genutzt, um an einem Beteiligungsstand Meinungen und Hinweise von Bürgerinnen und Bürgern zum Mobilitätskonzept einzuholen.

Aufbauend auf die Bestandsanalyse, die Beteiligung, die Leitsätze und anhand fachlicher Abstimmungstermine definierte städtebauliche und verkehrliche Anforderungen an die Gestaltung des Ortskerns wurde ein erster Maßnahmenentwurf entwickelt. Es war klar, dass für den zentralen Bereich rund um die Einmündung Zentgrafenstraße/Teichstraße aufgrund der hohen Komplexität mehrere Varianten entwickelt werden müssen. Hierzu wurden drei grundlegende Variablen aufgestellt: die Kfz-Verkehrsregelung (Kfz-Durchfahrt, Kleiner Kfz-freier Bereich oder Großer Kfz-freier Bereich), die Lage der Haltestelle Teichstraße (Bestand, südliche Teichstraße, nördliche Teichstraße) und ein möglicher zweigleisiger Ausbau. Mit der Kombination der Variablen entstand ein Lösungsraum von 18 möglichen Varianten, welche unterschiedliche Vor- und Nachteile aufweisen. Aus diesen wurden vorläufig vier sehr verschiedene Varianten ausgewählt, die dem Ortsbeirat Kirchditmold im Dezember 2022 präsentiert wurden.

Parallel zur langfristigen Maßnahmenplanung wurde im Herbst 2022 und Winter 2022-23 eine Erprobungsphase für das Frühjahr 2023 vorbereitet. Hierfür hatte sich LK Argus Kassel mit dem in der Bespielung des öffentlichen Raums erfahrenen Studio Raamwerk, ebenfalls aus Kassel, zusammengetan. Die Erprobungsphase hatte zwei Ziele: einerseits sollte eine alternative Verkehrsführung für einen Monat praktisch erprobt werden. Andererseits sollte das soziale und öffentliche Leben im Ortskern gestärkt und die Aufenthaltsqualität erhöht werden. So lief die Erprobungsphase denn auch als Veranstaltung und nicht als Verkehrsversuch. Es ist aufwändig, Theorie in die Praxis umzusetzen: so wurde aus dem Aktionszeitraum aus März/April schließlich 22. April bis 21. Mai 2023, aus einem intendierten Kleinen Kfz-freien Bereich pragmatischer Weise doch ein Großer. Die „Freiluft-Experiment“ getaufte Erprobungsphase stellte sich trotz einiger Hürden als Erfolg heraus: die Bürgerinnen und Bürger organisierten zahlreiche Veranstaltungen, Menschen hielten sich auf der Straße auf, es gab einen Wochenmarkt, der Ortskern war in aller Munde. Stadt Kassel und LK Argus führten verkehrliche Untersuchungen durch, die zeigten, dass sich der Kfz-Verkehr wie gewünscht überwiegend auf die Ortskernumfahrung Loßbergstraße verlagerte. Allerdings gab es auch unverträgliche Alternativrouten durch Wohnstraßen, insbesondere die Riedwiesen. Eine erneut durchgeführte Parkraum-Belegungserhebung zeigte, dass der Parkdruck im Umfeld der gesperrten 32 Parkplätze um ca. 5 bis 10 % anstieg, jedoch noch immer freie Reserven verfügbar waren. Das Radverkehrsaufkommen im Ortskern nahm zu. Leider kam es auch zu regelwidrigen Kfz-Befahrungen des gesperrten Bereichs. Als Beteiligungsformate gab es einen nachmittags geöffneten Info-Point in der Zentgrafenstraße, zwei Online-Umfragen und eine sogenannte Planungszelle mit fokussierter Kleingruppenarbeit. Es meldeten sich dabei nicht wenige kritische Stimmen, insgesamt überwog jedoch eine positive Bewertung der Auswirkungen des Freiluft-Experiments auf den Stadtraum und eine Befürwortung der verkehrsreduzierten Umgestaltung.

Frage 12 der Online-Umfrage

Anhand der gesammelten Erkenntnisse wurden schließlich die Maßnahmen des Mobilitätskonzeptes finalisiert. Da ein größerer Umbau des Ortskerns aufgrund zeitlicher, finanzieller und personeller Ressourcen der Stadt noch etwas auf sich warten lassen wird, wurden rasch umsetzbare Sofortmaßnahmen aufgestellt: darunter die Einführung eines Verkehrsberuhigten Geschäftsbereichs mit 20 km/h, die Umwandlung einzelner Parkplätze im Seitenraum zugunsten breiterer Gehwege und Aufenthaltsflächen, eine konfliktärmere Radverkehrsführung. Über diese berät nun zeitnah der Ortsbeirat.

Beschilderungsplan Sofortmaßnahmen

Langfristig gibt es nun drei Varianten für den zentralen Ortskern: eine Kfz-Durchfahrt mit Verkehrsberuhigungsmaßnahmen, einen Kleinen Kfz-freien Bereich als Kompromiss aus Vermeidung des Durchgangsverkehrs und guter Kfz-Erschließung (Abbildung 5) sowie einen Großen Kfz-freien Bereich als starke Vision. In allen drei Varianten fährt der ÖPNV weiter durch den Ortskern. Das Stimmungsbild aus der Online- und Plakataushang-Umfrage sowie der durchgeführten Beteiligungsveranstaltung „Planungszelle“ mit fokussierter Kleingruppenarbeit spricht dabei für einen mindestens kleinen Kfz-freien Bereich. Ebenso konnte eine Befürwortung der Verlegung der Haltestelle in die südliche Teichstraße erkannt werden, damit der Aufenthaltsbereich in der nördlichen Teichstraße nicht durch diese getrennt wird. Die Verlegung wird für alle drei Varianten empfohlen, wegen des großen Aufwandes und noch vertiefend zu betrachtender verkehrstechnischer Problematiken jedoch nur bei der Visionsvariante vorgesehen. Genauso verhält es sich mit dem zweigleisigen Ausbau der Zentgrafenstraße aufgrund hoher Kosten.

Die drei Varianten sind nun Grundlage für ein landschaftsarchitektonisches Gutachterverfahren, in dem eine Vorentwurfsplanung weiter ins Detail geht und die zukünftige Straßenraumgestaltung plant. Aus den dort weiterentwickelten Varianten wählt eine Jury schließlich eine Vorzugsvariante zur Umsetzung aus. Neben den Varianten gibt es auch langfristige Maßnahmen in den weiteren Bereichen des Ortskerns, die auch eine Aufwertung des Straßenraums und Verbesserungen für den Fuß- und Radverkehr sowie die Kfz-Verkehrsführung abseits der Wohnstraßen auf der Ortskernumfahrung vorsehen. Damit liegt nun insgesamt ein Paket an Umsetzungsmöglichkeiten vor, welches dem Ortsbeirat Kirchditmold am 20. Juni 2023 vorgestellt wurde und nun weiter vertieft wird. So geht Kirchditmold mit einem lebendigen Ortskern nachhaltig in die Zukunft.

Varianten Kleiner Kfz-freier Bereich